Ruthard Stachowske               

Wissenschaftliche Publikationen

Kinder – Familie – Sucht

„Wie dringend es ist, die komplexen Zusammenhänge in abhängigkeitskranken Familiensystemen zu erforschen, zeigen uns die Kinder, die im Kontext suchtkranker Familiensysteme zu Tode gekommen sind oder die sehr schwer verletzt wurden“ (Ruthard Stachowske 2012).

Etwa ein Drittel der Drogenabhängigen in Deutschland hat Kinder; bei Partnerschaften sind häufig beide Elternteile suchtkrank, eine hohe Belastung für das Kind ist die Folge: Kinder in suchtkranken Familiensystemen erleben häufig hoch belastete vor- und nachgeburtliche Sozialisationsprozesse und sind folgend einem andauernden Risiko ihres eigenen Wohls ausgesetzt. Dies führt zu Beschädigungen und Veränderungen ihres physischen und psychischen Lebens, oft mit lebenslangen und das Leben nachhaltig beeinflussenden Folgen. Eine Suchterkrankung betrifft in der Regel nicht nur eine, sondern mehrere Generationen (vgl. Stachowske 2014) .

Im Sinne der Kybernetik zweiter Ordnung gilt es jedoch zu fragen, ob es darüber hinaus auch andere Wirkfaktoren gibt, die in den spezifischen Entwicklungen in suchtkranken Familien eine Relevanz haben:

„Suchtkranke Familiensysteme und das Leben der dazugehörigen Kinder entwickeln sich in einer verkannten Interaktion mit dem professionellen Helfersystem. Deshalb ist das professionelle System als Wirkfaktor im Leben der Kinder zu verstehen“ (Ruthard Stachowske, 2014).

Professionelles Helfersystem meint alle im interfakultativen und interdisziplinären Versorgungssystem tätigen Institute und professionelle Helfer. Solche Systeme weisen auch einige grundsätzliche Einschränkungen auf, die in ihrem Umfang ebenso wie in ihrer Wirkkraft und Bedeutung wenig beachtet werden. So besteht insbesondere eine wissenschaftliche Unwissenheit hinsichtlich des Themas Familie und Suchterkrankungen sowie Effekte von Inkompatibilität zwischen den Helfersystemen, dies auch infolge der Nichtbeachtung gesetzlicher Regelungen in der praktischen Arbeit (vgl. Stachowske 2014). Es liegen kaum gesicherte handlungsleitende Wissensbestände vor, auf die die Handelnden des Helfersystems zurückgreifen können - und es fehlen Definitionen spezifischer Störungsbilder, vergleichbar mit dem des Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) der Kinder, die in ihren vor- und nachgeburtlichen Entwicklungen an dem mütterlichen und väterlichen Konsum der psychotropen Substanz Alkohol partizipiert haben.

Dementsprechend liegen folgende Fragen nahe: Gibt es Einschränkungen der Wirkkraft des Kinderschutzes? Wie effektiv ist das komplexe interdisziplinäre Helfersystem, das sein Handeln und seine Rollen und Funktionen auf solch unsichere Rahmenbedingungen begründet bzw. sich daran orientiert.

„Es stellt sich […] die Frage, ob diese qua Gesetz [so den § 36 SGB VIII und den §§ 6, 10, 12 SGB IX] geregelte interdisziplinäre Zusammenarbeit tatsächlich und regelhaft so ausgeführt und umgesetzt wird, dass das Kindeswohl insbesondere bei Risikofamilien gewährleistet werden kann" (Ruthard Stachowske, 2014).

Die wenig gesicherten Grundlagen führen unmittelbar zu schwierigen Folgen im professionellen Helfersystem, so hat beispielsweise die Familie laut Gesetz keinen eigenen Rechtsstatus, um gemeinsam an einer Heilbehandlung teilhaben zu können – auch nicht bei Belastung des Familiensystems durch Abhängigkeit oder psychiatrische Störungen. Zum anderen werden die Eltern in der Regel nicht ausreichend versorgt und unterstützt, obwohl häufig eine Rückkopplung der elterlichen Störungsbilder auf das Wohl der Kinder vorliegt. Wiederholt ist erkennbar geworden, dass verkannte schwere Störungen der Eltern eine wesentliche Ursache für Kindesverletzungen oder -tötungen waren (vgl. Stachowske 2014). Bühringer et al. (2011) weisen darauf hin, dass Frauen mit Kindern in suchtmedizinischer Versorgung eine bessere langfristige Betreuung benötigen würden. „Die Situation von Frauen mit Kindern ist nachgeburtlich problemreich, das Ausmaß von abgestimmter Hilfe defizitär“.

Bühringer et.al. führen aus:

„Frauen mit Kinder benötigen eine bessere langfristige Betreuung

  • Vorgeburtlich bis peripartal gute Betreuung 
  • nachgeburtlich drastisch reduziertes Hilfsangebot, überwiegend defiziente und wenig koordinierte Behandlungs-und Betreuungsangebote" (Bühringer et. al. 2011, Folie 14). 

Dies führt, trotz einer Versorgung durch professionelle Systeme, häufig zur Entwicklung von Hoch-Risikokonstellationen. An professionell Handelnde werden hohe Anforderungen gestellt, deshalb ist die Entwicklung spezifischer Konzepte erforderlich, mit deren Hilfe professionellen Entscheidungsträgern das Spezialwissen hinsichtlich suchtkranker Familien vermittelt wird. Außerdem ist für Kinder in suchtkranken Familiensystemen von besonderer Wichtigkeit, auf Grundlage stabiler Beziehungen zu gesunden Menschen die eigene Selbstwirksamkeit zu stärken - sowie ein eigenes Wertesystem zu entwickeln. Dies sollte stets im Kontext professioneller Hilfe begleitet werden.

Literaturverzeichnis:

Bühringer, G, Wittchen, H.-U., Rehm, J. & PREMOS Gruppe (2011b). Effekte der langfristigen Substitution Opioidabhängiger: Ergebnisse und Schlussfolgerungen der PREMOS Studie. Präsentation. http://www.caritas-suchthilfe.de/cms/contents/caritas-suchthilfe.d/medien/dokumente/casu-fachtage/casu-fachtage-2012/fachtage-substitutio/premos-studie/praesentation_premos.pdf?d=a&f=o [02.05.2018].

Stachowske, Ruthard/ Pönsch, Christian (2012): Kinder drogenabhängiger Eltern. In: Schmid, Marc et al. (Hrsg.) (2012): Handbuch Psychiatriebezogene Sozialpädagogik. Vandenhoeck & Ruprecht. S. 315-324.

Stachowske, R. (Hrsg.) (2014). Schwangerschaft und Kindesmisshandlungen [Themenheft]. Trauma, 12(3).